Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen
Fettsucht gilt laut Weltgesundheitsorganisation WHO als Krankheit und die WHO spricht von einer „globalen Epidemie des 21. Jahrhunderts“. Weltweit gelten ebenso viele Menschen als übergewichtig wie unterernährt.
Laut einer Studie der Wiener Sozialmedizinerin Prof. Rieder hatten im Jahr 2004 28 Prozent der österreichischen Buben zwischen 6 und 18 Jahren Übergewicht, bei den Mädchen in dieser Altersgruppe sind es 25 Prozent. Die Zahl der übergewichtigen Kinder ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen, laut einer Untersuchung aus Halle (Deutschland) hat sich seit 1985 der Anteil der übergewichtigen Buben mehr als verdoppelt, bei den Mädchen war jedes dritte zu schwer – vor 15 Jahren war es jedes neunte. Etwa 40 Prozent der übergewichtigen Kinder haben auch als Erwachsene Übergewicht. Übergewicht hat neben körperlichen auch psychische Folgen und oft auch Ursachen.
Gesunde Einjährige haben normalerweise bis zu 30 Prozent Körperfett und auch bei dicken Kleinkindern (jünger als drei Jahre) besteht noch kein erhöhtes Risiko, dass aus ihnen fettleibige Erwachsene werden. Laut einer Studie von Whitaker aus Cincinnati, bei der 854 Menschen über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren nach der Geburt untersucht wurden, steigt die Wahrscheinlichkeit, auch als Erwachsener übergewichtig zu sein, ab einem Alter von drei Jahren aber an. Übergewichtige Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren haben eine Wahrscheinlichkeit von 55 Prozent, dass ihnen eine Zukunft als übergewichtige Erwachsene bevorsteht; im Alter von 10 bis 14 Jahren erhöht sich der Prozentsatz auf 67.
Je später eine Behandlung begonnen wird, umso schwieriger ist sie und umso geringer sind die Erfolgsaussichten.
Es gibt altersbezogene Normalwerte, die angeben, welche Werte für Größe und Gewicht in welchem Alter normal sind. Gemeinhin wird dazu der so genannte Body-Mass-Index (BMI) verwendet. Der BMI errechnet sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm dividiert durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. Der Wert für die 90. Perzentile bedeutet beispielsweise, dass 90 Prozent aller Kinder oder Jugendlichen in diesem Alter ein Gewicht unter dem betreffenden Wert haben.
Dieser Wert ist altersabhängig. Die folgende Tabelle zeigt jenen BMI-Wert, der als die altersabhängige Grenze zwischen Normal- und Übergewicht gilt:Alter 7 8 9 10 11 12 13 14
BMI 18 18 19 20 21 22 23 24
Doch neue Studien zeigten, dass es nicht nur auf das Übergewicht allein ankommt, sondern auch und vor allem auf die Fettverteilung. 50 Prozent der Herz- und Arterioskleroseerkrankten haben nämlich gar kein Übergewicht, aber einen zu großen Taillenumfang. Das innere Bauchfett ist sehr stoffwechselaktiv und produziert unter anderem Fettsäuren, die den Stoffwechsel negativ beeinflussen. Dadurch steigen die Triglyceridwerte und das so genannte „schlechte“ LDL-Cholesterin, während das „gute“ HDL-Cholesterin sinkt. Die Folgen: Das Risiko für Diabetes, hohen Blutdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt.
Daher sollte bereits im Kindesalter auch der Bauchumfang im Auge behalten werden. Die Professoren Kritz und Sinzinger haben aus den derzeit vorliegenden internationalen Daten und eigenen Studien Bauchumfang-Richtwerte für Kinder in Österreich ermittelt:
Und so wird gemessen: Ein Maßband wird am Nabeloberrand bzw. an der größten Zirkumferenz (der Stelle mit dem größten Bauchumfang) im Stehen um den nackten Bauch des Kindes gelegt und der ermittelte Wert abgelesen.
Generell entsteht Übergewicht, wenn die Energiezufuhr den Energieverbrauch übersteigt. Die Ursachen sind vielfältig, neben psychischen Faktoren spielen natürlich die Ernährung und das Ausmaß der körperlichen Aktivität eine wesentliche Rolle.
Gerade Jugendliche sind einer massiven Werbung durch die Nahrungsmittelindustrie ausgesetzt. Prof. Anita Rieder konnte zeigen, dass Sieben- bis Neunjährige täglich rund eineinhalb Mal mehr Fleisch und Wurst essen, als zu empfehlen ist, während sie nur etwas mehr als halb so viel Obst oder Gemüse essen wie empfohlen.
Chronischer Bewegungsmangel lässt das Körpergewicht kontinuierlich wachsen. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ergab, dass übergewichtige Kinder täglich mehr als zwei Stunden fernsehen. Ausdauertests ergaben eine deutlich reduzierte Kondition im Vergleich zu Werten von Kindern vor 25 Jahren.
Es gibt aber auch Erbanlagen, die Übergewicht begünstigen können. Als diesbezügliche Ursache des Übergewichts werden immer wieder so genannte „thrifty genes“ („Spar-Gene“) diskutiert. In früheren Zeiten mit wiederkehrenden Hungersnöten hatten Menschen demnach einen genetischen Vorteil, wenn sie bei Nahrungsüberfluss besonders schnell Reserven anlegten.
Auch soziale Ursachen sind bekannt. Laut einer Gesundheitsstudie des Berliner Senats waren im Jahr 2001 etwa doppelt so viele Schulanfänger aus sozial schwächeren Gruppen übergewichtig als Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus.
Was jedoch die Verwertung der Kalorien angeht, gibt es interessanterweise nach einer Untersuchung der US-amerikanischen Mayo Clinic keine nennenswerten Unterschiede zwischen Übergewicht und Normalgewicht, es zeigte sich vielmehr eine ganz andere Komponente: Die schlanken Testesser wurden durch eine hoch kalorische Diät unruhig und aktiv und verbrannten bis zu zwei Drittel der überschüssigen Kalorien, die anderen lagerten sie als Hüftspeck ab.
Laut einer neueren Theorie von Prof. Dhurandhar könnte auch ein Virus eine Rolle spielen, der so genannte Adenovirus 36 (Ad-36). Dieser Effekt wurde allerdings bisher lediglich bei Hühnern und Mäusen nachgewiesen.
Neben psychischen und sozialen Faktoren, die die Ernährung beeinflussen und mangelnder Bewegung, sowie genetisch bedingter unterschiedlicher Anfälligkeit für Übergewicht können auch verschiedene Krankheiten eine Rolle spielen, beispielsweise die der Schilddrüse.
Vielfach unterschätzt werden allerdings noch immer die psychischen Faktoren, die Übergewicht verursachen können. Bei vielen Kindern wirkt Essen als Angstlöser und hilft gegen Stress und Langeweile.
Übergewicht kann zu einer Reihe von Folgekrankheiten führen. In den USA verschlingt die Behandlung der Fettsucht bereits sieben Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben.
- Das Risiko für hohen Blutdruck ist erhöht. In der Folge kann es zu Ablagerungen kommen, die die Blutgefäße verengen können (Arteriosklerose).
- Ein Schlaganfall wird wahrscheinlicher.
- Ein hohes Körpergewicht erhöht die Gefahr, eine Arthrose zu entwickeln.
- Auch das Diabetes-Risiko steigt: Das Hormon Insulin wird zwar produziert, wirkt aber nicht mehr ausreichend.
- Das Krebsrisiko (für Nierenkrebs) ist erhöht.
- Atemnot und Kurzatmigkeit, das so genannte Schlafapnoesyndrom, können auftreten.
- Psychische Folgen sind möglich (Depressionen, Minderwertigkeitsgefühle, Isolation durch soziale Ausgrenzung u.Ä.).
- Soziale Folgen: Laut einer Studie aus Harvard bekommen Übergewichtige pro Jahr 6.700 Dollar weniger Lohn als Schlanke in vergleichbaren Positionen.
Übergewicht ist nur in seltenen Fällen Ausdruck einer Grunderkrankung, dennoch sollte sowohl eine laborchemische als auch eine psychologische Untersuchung durchgeführt werden. Man untersucht den Blutdruck, das Gesamtcholesterin, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyzeride (nüchtern) und Schilddrüsenwerte. In Abhängigkeit von der familiären Belastung werden folgende Untersuchungen durchgeführt: Nüchternblutzucker, oraler Glukosetoleranztest, Homocystein, Kreatinin, Elektrolyte und Harnsäure im Serum.
In der psychologischen Untersuchung werden die psychischen Hintergründe für das Essverhalten erforscht.
Grundsätzlich sollte jedem übergewichtigen Patienten eine Behandlung ermöglicht werden. Bei übergewichtigen Kindern im Alter zwischen zwei und sechs Jahren kann es ausreichend sein, das aktuelle Gewicht zu halten, das Übergewicht sinkt durch das Wachstum automatisch in einen altersgemäßen Normalbereich. Das Wichtigste ist sicherlich, sich mit dem Thema zu beschäftigen und eine positive Vorbildfunktion darzustellen. Ein wesentlicher Aspekt ist es, frühzeitig zu körperlicher Bewegung anzuregen und die Freude an der Bewegung zu fördern. Manchmal bedarf es einer Umstrukturierung des familiären Alltagslebens, damit Kinder nicht alleine zu Hause sitzend aus emotionalem Hunger heraus essen. Auch andere Probleme können zu emotionalem Hunger führen, welcher stellvertretend mit Essen "gestillt" wird. Häufig liegen tiefere psychische Störungen hinter dem Essproblem. Dies ist wichtig in der psychologischen Diagnostik zu klären. Es macht keinen Sinn in diesem Falle Diäten beziehungsweise das Essverhalten an den Anfang der Behandlung zu stellen.
In anderen Fällen geht es um die Veränderung von Ernährungsgewohnheiten an sich. Hier beginnt man meist mit einem Ernährungsprotokoll, mit dem man sich bewusst macht, was wirklich gegessen wird. Dieses sollte den Energiegehalt (Kalorien) und die Zusammensetzung der Nahrung beinhalten. In der Folge kann man zwar die Grundzüge seiner Ernährung beibehalten, aber man kann beispielweise Mengen oder Verhältnisse ändern. Auch ein gemeinsames Kochen mit den Kindern ist sehr hilfreich, damit die Kinder sehen, wie Nahrungsmittel entstehen.
Ein wichtiger Punkt ist die Umstellung der Ernährung auf kalorienreduzierte Mischkost. Man soll sich realistische Ziele setzen, beispielsweise 1 kg im Monat abzunehmen. Auch längerfristige Ziele wie ein Gewichtsziel für das nächste Jahr sind hilfreich. Es ist durchaus sinnvoll, einen Ernährungsplan mit einer Diätologin gemeinsam zu erstellen, auch eine entsprechende psychologische Unterstützung ist empfehlenswert.
Entscheidend ist auch regelmäßige Bewegung, hier vor allem Ausdauertraining. Viele Eltern meinen, dass ihr Kind gar nicht viel isst. Bei genauer Nachfrage stellt sich oft heraus, dass große Mengen an Limonade oder Cola konsumiert werden. Das ideale Getränk ist aber natürlich Wasser.
Gemeinsame Mahlzeiten gehören zu den effektivsten Methoden. Eine Untersuchung aus Israel schulte in einer Gruppe nur die Kinder und in einer anderen nur die Eltern. Das Ergebnis: Das Training der Eltern bewirkte eine stärkere Gewichtsreduktion bei den Kindern als ein alleiniges Training der Kinder selbst.
Für hochgradig übergewichtige Kindern kann man auch eine medikamentöse Therapie in Erwägung ziehen oder sogar einen operativen Eingriff, wie etwa eine Verengung des Mageneingangs („Gastric Banding“).
Folgende Medikamente wurden zur Gewichtsreduktion ohne großen Erfolg versuch:
- Xenical bewirkt, dass der Körper etwa ein Drittel der Nahrungsfette nicht verwerten kann. Blähsucht, fette Stühle und manchmal Inkontinenz gehören aber zu den möglichen Nebenwirkungen.
- Reductil soll im Gehirn (im Hypothalamus) das Gefühl der Sättigung steigern. In klinischen Studien verloren Testpersonen in den ersten zwei bis drei Monaten ungefähr fünf Kilogramm. Dann aber blieb das Gewicht konstant, ehe es 15 Monate später wieder stieg. Aufgrund starker Nebenwirkungen wurden diese Sibutramin-haltigen Arzneimittel in allen Industrieländern wieder vom Markt genommen.
Eine erfolgreiche Behandlung der extremen Adipositas ist nur in enger Zusammenarbeit zwischen Arzt, Psychologen, Ernährungsfachkraft, Sporttherapeut etc. möglich.
- Reichlich: Getränke (am besten Wasser oder zuckerfrei) und pflanzliche Lebensmittel.
- Mäßig: tierische Lebensmittel (fettarme Varianten).
- Sparsam: fett- und zuckerreiche Lebensmittel.
- Die Gewichtsabnahme sollte langsam erfolgen, das ist erfolgreicher als eine Crashdiät.
- Ernährungsprotokolle helfen bei der Planung.
- Bevorzugen Sie frisches Obst und Gemüse.
- Essen Sie an zwei bis drei Tagen in der Woche kein Fleisch.
- Die Zufuhr von Kalorien sollte nicht höher sein als der Kalorienverbrauch.
- Kohlenhydrate: fünf bis sechs Gramm je Kilogramm Körpergewicht täglich.
- Fett: 0,8 bis 1 Gramm je Kilogramm Körpergewicht täglich.
- Eiweiß: 0,8 bis 1 Gramm je Kilogramm Körpergewicht täglich.
- Verbote für bestimmte Lebensmittel sollten nicht ausgesprochen werden. Aber bei Süßigkeiten kann man die Mengen reduzieren bzw. auch den Fettanteil verringern.
Oft folgt einer gelungenen Gewichtsreduktion eine noch stärkere Zunahme (Jojo-Effekt), besonders häufig nach einer übermäßig schnellen Gewichtsabnahme. Crashdiäten wie beispielsweise die Ananas-Diät oder die Blutgruppen-Diät bringen zwar oft einen raschen Gewichtsverlust, aber das abgenommene Gewicht wird auch schnell wieder zugenommen, wenn man danach zu den alten Ess- und Bewegungsgewohnheiten zurückkehrt. Das einmal erreichte Gewicht zu halten, ist aber das eigentliche Ziel. Achten Sie also auf eine langsame Ernährungsumstellung, die auch beibehalten werden kann.
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